Die Pfade im Wald sind schmal (…) wie die Zeilen eines Gedichts

von Helmuth Schönauer

Wetter

Das Wetter ist mehr als das, was sich am Himmel abspielt, das Wetter ist vor allem eine intime innere Angelegenheit. Nicht umsonst lautet die erste Frage in sozialen Medien immer: Und, wie ist bei euch das Wetter?
Hermann Niklas hat anlässlich eines Stipendiums ursprünglich etwas über den Himmel machen wollen. Weil sich aber der Himmel nicht trennen lässt von den Menschen, die ihn erleiden und erfahren, ist daraus das Wetter geworden. Und tatsächlich liefert das Wetter jede Menge lyrischen Stoff, wenn man es einzufangen versucht, etwa mit den Aggregatzuständen Erde, Luft und Grenze.
In den drei Kapiteln sind diese Phänomene auf einer Schicht aufgetragen und nennen sich folglich: Erdschicht (7), Luftschicht (37), Grenzschicht (67). Oft ist es ein lyrisches du, das vorprescht und direkt in die Wetterlage hineinsticht, später gesellt sich das Ich dazu, um zu sortieren, was in der Szene angerichtet ist.
„du leerst etwas das wie ein Gefäß benutzt wird es hat Griffe / ich lass dich und wir treffen uns später am Stehtisch der ersten Arterienverengung“ (9). Das Bild baut sich auf zu einer dichten Bar-Atmosphäre, die geerdet wird durch Wind und rotes Licht. Die Einzelteile sind über ein Nervensystem verbunden, die Augen werden wie beim Feuermachen mit Hölzchen gerieben und am Schluss verknoten sich Hände und lassen sich nicht mehr lösen.
Der Elchtest für gute Lyrik ist immer der Umgang mit den Vögeln. Wie gelingt es ihnen, trotz ihrer ewig gleichen Flugbahnen zwischen die Zeilen zu gelangen? In der „Wetter“-Elegie ist das Auftauchen der Vögel elegant gelöst: Jemand malt sie in die Erde, mit einem Stöckchen macht er zwei Striche und sagt Krähe dazu. (12)
Auf der Erdschicht liegen die seltsamsten Dinge herum und benehmen sich wie ein Gedicht. Ein Haus hat Augen und schaut dich an, ein Berg ist eine hohle Maschine und streut Licht gegen den Stein und den Himmel, ein Sensenmann quält sich mühsam durchs Gras.
In der Luftschicht liegen vor allem Wälder herum, das lyrische Ich durchstreift sie und wird jäh irritiert, wenn dem Unwetter eine Schlammlawine gefolgt ist und das Dorf verschüttet hat. An anderer Stelle dreht der Wind wie irr an seinem Rad, aus einem Friedhof leuchtet es rot und dann hängen plötzlich die Toten im Himmel, frisch kompostiert nach einer abgelaufenen Jahreszeit. (46)
Unter dem Kapitel Grenzschicht sind schließlich scharf zusammengeschliffene Gedichte versammelt, sie schneiden quasi durch die Schichten und pflügen überall Grenzen auf. „Der Bug des Boots / ist Grund der Quelle / der Stein schreit / die Luft erschrickt“. (82) Die Zeilen werden dünner und schärfer, bis es zum Finale kommt: „ein Vogel / im Fliegen / zerbricht“. (93)
Hermann Niklas hat aus dem Allerweltsthema „Wetter“ ein dichtes Erlebnis der Peripherie gemacht. Das Allgemeine wird durch persönliche Wahrnehmung zu etwas Kostbarem, ja Einzigartigen. Oft ist für das lyrische Ich ein eigenes Wetter geschaffen, das sich folglich nicht übertragen und verallgemeinern lässt. Jede Situation hat ein Wetter, Himmel und Erde werfen sich Bälle zu, die zu Gewitter und Trockenheit führen können. Die Pfade im Wald sind schmal, heißt es einmal, schmal wie die Zeilen eines Gedichtes, wer daneben tritt, fällt aus dem Gedicht. – Schon lange nicht mehr ist das Wetter so aufregend gewesen.

Hermann Niklas: Wetter. Gedichte.
Innsbruck: Limbus 2020. 95 Seiten. EUR 15,-. ISBN 978-3-99039-171-6. Hermann Niklas, geb. 1976 in Marbach an der kleinen Erlauf, lebt in Wien 

Helmuth Schönauer 25/04/20


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